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Designerin Anja Gockel will Frauen sichtbar machen

Mainz – Die Linse wendet sich ihr zu, und Anja Gockel, 49, setzt das Kameragesicht auf. Die Augen weit geöffnet, die Haare gesprayt und aufgewuschelt, das Lächeln fehlerfrei. Aber der Hintergrund stimmt nicht.

Der gelbgrüne Stoff, meint Gockel, sei nicht im Bild, also platziert sie die Rolle in ihrem Atelier in Mainz neu. «Wenn Chaos, dann darf es auch nach Chaos aussehen, aber bitte mit den Farben, die gut aussehen», sagt sie. «Ich bin eine Perfektionistin. Meine Schamanin sagt: Steh dazu.»

Zwei Jahrzehnte hat sie hart gearbeitet, jedes Detail im Leben geplant. Nun verfügt Anja Gockel über ein Label mit ihrem Namen, kleidet Königin Silvia von Schweden genauso wie Heidi Klum, zeigt ihre Kreationen auf der Berliner Fashion Week und ist Designerin des Jahres vom Designer-Berufsverband VDMD. Den Stolz merkt man ihr an. «Ich verdiene hier in Mainz pro Quadratmeter so viel wie Ludwig Beck in München.» Ludwig Beck, ein börsennotiertes Kaufhausunternehmen, steht siebenstöckig am Münchner Marienplatz.

Anja Gockel achtet auf jedes Detail. Die Lieferanten ihrer Kleidung? Alles Ein-Mann- bis 20-Mann-Betriebe, die im Umkreis von Mainz produzieren. Die Mode? Soll auch Frauen in XXL gut stehen, nicht nur in XS. Ihre Einkäufe? Den Spargel kauft sie vom Bauern im nahen Finthen. Und selbst wenn Anja Gockel sich von ihrer nicht so mustergültigen Seite zeigt, geschieht das in kontrollierter Form. Gerne erzählt sie, dass der Bäcker um die Ecke sie auch einmal ungestylt sieht.

Natürlich hat Anja Gockel auch ein Thema für ihr Leben definiert. «Ich will Frauen sichtbar machen», sagt sie, und legt zum ersten Mal im Gespräch eine kurze Pause ein, um den Satz wirken zu lassen. «Mode ist das Vehikel der Sichtbarkeit. Und diese Sichtbarkeit müssen wir uns selbst gönnen und einfordern.» Nur wer den Mut habe aufzufallen, könne führen – die andere Person müsse einen sehen.

Mit ihrer farbigen Kollektion versteht sich Anja Gockel als eine Kämpferin für Frauenrechte. Frauen hätten im Leben ein Recht auf die Hälfte, betont sie. «Das hat nichts mit Feminismus zu tun, sondern mit Logik. Fifty-Fifty, weil wir gleich intelligent sind», sagt sie. Und sprudelt weiter: «Sie glauben nicht, wie viele Frauen hier noch im Laden stehen und sagen: Ich muss erstmal noch meinen Mann fragen.»

Weil Anja Gockel andere Frauen ermutige, sich zu behaupten, auch in der Modewelt – deswegen habe der Verband Deutscher Mode- und Textildesigner VDMA sie zur Designerin des Jahres gewählt, sagt deren Geschäftsführerin Mara Michel. «Außerdem hat sie ihren eigenen, eigenwilligen Stil, kein Mainstream. Sie passt sich nicht an.» Und Anja Gockel wage Farbe. «Andere Designer nutzen schwarz-weiß-grau, und vielleicht mal noch ein bisschen blau.»

Bei Gockel im Atelier leuchtet es grün, rot, blau, türkis, gelb, rosa, orange. Es gibt Seidenstretch und schwere Stoffe, auch welche, die auf links genäht sind, um die Fäden sichtbar zu machen. Ihre Kleidung werde von Senegalesinnen und Südafrikanerinnen gekauft, sagt Gockel. Und zählt weitere Trägerinnen auf: die Moderatorinnen Marietta Slomka und Barbara Schöneberger, Komödiantin Martina Hill, Schauspielerin Diane Kruger. «Es kann die Bäuerin sein, die sich etwas gönnt, oder eine Königin. Generell sind es die Frauen, die sich gerne zeigen.»

Das Thema Sichtbarkeit – Anja Gockel sieht die Wurzeln dafür in ihrer Kindheit. Sie habe zwei ältere Brüder, jeweils zwei Meter groß, neben denen sie untergegangen sei. «Ich war die Kleinste, ich musste immer hochhüpfen und sie haben mich trotzdem nicht gesehen.» Diese Erfahrung, die sie damals negativ empfunden habe, habe ihre Arbeit positiv beeinflusst. «Auch das Falsche hat etwas Richtiges und das Richtige hat was Falsches. Das macht das Leben runder, wenn man das einsieht.»

Anja Gockel sagt, sie wolle nicht, dass jemand 80 Jahre auf der Erde lebt und nie gesehen wird. Frauen sollten teilhaben, mitentscheiden, relevant sein. «Ich würde gerne als Figur gelten, die dazu Mut macht.» Dabei müsse die Kleidung immer unterstützend wirken, nie behindernd. «Kleidung muss mir einen Dienst erweisen. Wenn ich nicht drin atmen, mich bücken oder schnell laufen kann, dann geht das gar nicht.» Die ideale Kombination? «Aussehen wie eine Diva, aber sich fühlen wie im Jogginganzug.»

Fotocredits: Andreas Arnold
(dpa)

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