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Jagd zieht mehr Frauen, junge Leute und Stadtmenschen an

Breckerfeld – Schießen üben, Waldbiologie büffeln, Jagdrecht auswendig lernen und ganz spezielle Vokabeln pauken. Heike Poth (53) und Sabine Severin (54) wollen Abi machen – und zwar das «grüne Abitur», den Jagdschein.

Seite an Seite mit dem 15-jährigen Paul trainieren sie am Schießstand im Sauerland – mit der Schrotflinte aus 30 Metern auf einen Kipphasen zielen. Dann mit der Büchse 60 Meter entfernt eine laufende Keiler-Attrappe treffen und auf 100 Meter Distanz einen Rehbock. Das jedes Wochenende in Breckerfeld, plus Theorie-Schulung zweimal pro Woche als Abendkurs. Ein halbes Jahr lang.

Steigendes Interesse

Das Interesse am Jagdschein wächst, auch bei Frauen und jungen Leuten, wie sich vor Start der europaweit größten Jagdmesse
«Jagd & Hund» (29. Januar bis 3. Februar) in Dortmund zeigt. 2018 haben 20.060 Anwärter bundesweit in den Kursen gesessen, eine Verdoppelung binnen rund zehn Jahren – 2009 waren es 9656 Teilnehmer laut Deutschem Jagdverband. Die Frauenquote stieg auf ein Viertel.

Aktuell gibt es 385.000 aktive Jäger. Und viele Messe-Neuheiten für sie, wie ein Blick auf die Branchenschau zeigt: Digitale Helfer zur Revierplanung, Hightech-Klamotten, die vor Wildschweinattacken oder Dornengestrüpp schützen und Zubehör für erhöhte Sicherheit, wie ein DJV-Sprecher sagt: «Loden-Grün war gestern, Signal-Orange ist heute.»

Kostspielig und umstritten

Bernd Poth ist bereits seit 38 Jahren dabei, trainiert den Nachwuchs im Sauerland. «Erlaubst du dir nur einen Sicherheitsfehler, bist du schon durchgefallen», sagt der Schießwart. Was reizt an der Jagd, einer durchaus umstrittenen Freizeit-Beschäftigung? Die noch dazu mit Ausgaben von 4340 Euro pro Jahr und Jäger kostspielig ist.

Sabine Severin hält sich gerne in der Natur auf. Das Schießen stehe nicht im Vordergrund, betont die Sekretärin. Bei Jägern bestehe eine «Ehrfurcht vor der Kreatur». Daraus folge: «Was wir erlegen, essen wir auch auf.» Wer im Supermarkt oder beim Metzger Fleisch kaufe, beauftrage indirekt andere, für sie zu töten. Paul ist mit der Jagd aufgewachsen, setzt die Familientradition fort. «Man gibt dem Revier viel, die Hege ist aufwendig, wenn man dann mal einen Bock erlegt, ist das eine Art Belohnung – im Sinne von «gut gemacht»», findet er.

Naturverbundenheit, Wissensdurst und ethische Fragen

Buchhändlerin Heike Poth geht es vor allem ums Wissen: «Wann wird das Geweih abgeworfen, wann ist Brunftzeit, Fellwechsel, man lernt viel über die Tiere.» Aber wie kann man die Wesen dann abschießen, über die man nun alles weiß? «Ich habe noch gar nicht entschieden, ob ich das je machen werde. Meine Freundinnen fragen mich auch oft, wie kann man nur», schildert sie. «Natürlich schwingt bei jedem von uns der Bambi-Gedanke mit.»

Die Jagd ist auch Gegenstand ethisch-moralischer Debatten. WWF und Nabu fordern eine Änderung des Jagdrechts. Die Liste der jagdbaren Arten solle gekürzt werden, die Jagd müsse nachhaltig sein und artenschutzrechtliche Prinzipien befolgen, mahnt der Nabu. Manche Kritiker sehen Tierquälerei.

Unterwegs mit Hund und Technik

In Breckerfeld lernt eine bunt gemischte Truppe – ein IT-Spezialist, eine Physiotherapeutin, ein Automechaniker. Aktuell geht es um den Hund. Ohne den läuft gar nichts bei der Jagd. «Stöberhund» Anton wird präsentiert. Er ist klein, aber «rabiat und ohne Angst», holt Enten aus dem Wasser, bedrängt Füchse im Bau und hetzt Wildschweine, wie sein Herrchen Michael Adams erläutert. Welche Tiere gejagt werden dürfen, richtet sich nach Abschussplänen im Revier – etwa Wildschweine, Rehwild, Dachs, Fuchs, Enten oder anderes Federwild.

Den Wirtschaftsingenieur Waldemar Skorupa fasziniert der Einsatz der Technik in der Natur. Aber: Jagdschein, Haftpflichtversicherung, eine Waffenberechtigung und ein «Begehungsschein» im Revier auf Zeit sind zu bezahlen. Plus Ausgaben für Waffen, Sichtgeräte, Klamotten und – in seinem Fall – für «sau-teure digitale Technik».

Vokabeln lernen

Hygiene-Kenntnisse, Wild-Krankheiten, Naturschutz-Fakten, das alles muss sitzen. Und die Jäger haben ihre eigene Sprache. Eine Liste mit 400 Vokabeln ist abzuarbeiten. Kostprobe: «abbalgen» bedeutet «Abziehen der Haut bei Niederwild», «abnicken» heißt, das Wild mit einem Stich ins Genick töten. Beim «Aufbrechen» wird dem Schalenwild das «Gescheide» (Eingeweide) und das «Geräusch» (Herz, Lunge, Leber, Niere) entnommen. Nebel heißt im Jäger-Jargon «Gamshüter», unter «Haderer» versteht man die Oberkieferzähne des Keilers und ein «Luder» ist ein totes Tier zum Anlocken.

Ein besseres Jäger-Image wünscht sich der Ausbildungsleiter der Kreisjägerschaft, Alexander Kolodinski. «Manche denken noch immer, die Jäger gehen raus und schießen alles platt. Es geht aber viel um Naturschutz. Man schießt bei uns nicht um des Schießens willen.» Der Gymnasiallehrer rechnet mit weiter steigendem Zulauf aus allen Bereichen. «Die Leute kommen im Wald zur Ruhe, das Handy bleibt aus auf dem Hochsitz – attraktiv auch für den modernen Großstadttypus.»

Fotocredits: Philipp Schulze
(dpa)

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